Zu Weihnachten präsentieren meine Liebste und ich für den Ohrfunk immer die Bescherungssendung, die zwischen 16 und 20 Uhr läuft. Sie ist einer der Höhepunkte meines jahres, und wir produzieren sie meistens zwei Tage vor der ausstrahlung. Und weil wir uns damit so richtig in Weihnachtsstimmung bringen, feiern wir in der Regel an diesem Tag unseren heiligen Abend, essen traditionsgemäß Grünkohl und fühlen uns so richtig weihnachtlich. Die Sendung selbst produzieren wir unter Live-Bedingungen, gestalten sie also wie eine Livesendung und nehmen sie auf. Das ist reine Routine, und dabei kann ja eigentlich nichts schief gehen. – Oder doch?
Auch diesmal, am Ende des Jahres 2018, war unser Produktionstag der 22. Dezember. Wir hatten viele Geschichten und Sketche ausgesucht, Musik zusammengestellt und uns ein gutes zweites Mikrofon geborgt, weil mein zweites Gerät kaputt ist. Alles sah nach Routine aus. Die Sendung sollte 3 Stunden und 55 Minuten dauern, aber die letzten 18 Minuten und 42 Sekunden waren schon vorproduziert. Sie bestanden aus der seit 2012 immer gleich ablaufenden offiziellen Bescherung mit Weihnachtsgeschichte, Chorgesang, Glückwünschen und dem Lied „Stille Nacht“, ebenfalls eine Tradition. Normalerweise produzieren wir die Sendung so, dass wir auch am Produktionstag um 16:05 Uhr beginnen. Diesmal aber waren wir mit den Vorbereitungen schon eine viertel Stunde früher fertig, also konnten wir um 15:50 Uhr anfangen. Die Sendung würde dann also um 19:45 Uhr beendet sein, und um 19:26 Uhr und 18 Sekunden musste die vorproduzierte Bescherung beginnen.
So verlebten wir einen schönen Nachmittag, alles ging glatt. Um mich der zeit zu vergewissern schaute ich nicht etwa zur Uhr, sondern auf den Computerbildschirm. Ich ließ mir die Zeit anzeigen, zu der unser letzter Beitrag beendet sein würde. Das musste am Schluss eben 19:26 Uhr sein, dann konnte ich die Bescherung starten. So konnte ich auch errechnen, wie lange wir Zeit zur Moderation hatten. Ich merkte nicht, dass mir ein kleiner, aber entscheidender Fehler unterlief. Ich schaute immer nach, wann das erste Lied nach der Sendung beginnen würde und versuchte, die Zeit auf 19:26 Uhr zu timen. Dabei bedachte ich nicht, dass ich die Bescherung da schon mit einberechnet hatte. Als ich dann kurz vor der Bescherung wirklich auf die Uhr schaute, war es erst 19:07 Uhr. Ich hatte mich schlichtweg vertan. Ohne die Bescherung hätte 19:26 Uhr herauskommen müssen, jetzt sah es so aus, dass *mit* der Bescherung die Sendung um 19:26 Uhr beendet sein würde. Da war guter Rat teuer. Weil der vorproduzierte Teil schon gestartet war, konnte ich am Sendungsverlauf nichts mehr ändern, die Sendung war um 18 Minuten und 42 Sekunden zu kurz. Das ist mir noch nie passiert, und obwohl es auch irgendwie lustig war, hatte ich jetzt ein echtes Problem.
Nach der Sendung aßen wir erst einmal unseren Grünkohl, aber dann musste mir schnell etwas einfallen. Ich lud die zu kurze Sendung in mein Soundbearbeitungsprogramm und suchte einen Beitrag, der ungefähr so lang war wie die fehlende Zeit. Tatsächlich wurde ich schnell fündig. Es war ein Beitrag über den heiligen Abend in meiner Kindheit, den ich einfach in die Sendung hineinfriemelte. Dazu musste ich die Bescherung hinten abtrennen, eine kleine, weitere Moderation aufsprechen, den Beitrag einfügen und die Bescherung hinten wieder anhängen. Das war schnell erledigt. Ich sicherte die Datei und lud sie auf unseren Server, die Weihnachtssendung war fertig. Es war alles noch mal gut gegangen…
Ich würde gern behaupten, mich hätte ein ungutes Gefühl beschlichen, aber es stimmt nicht. Ahnungslos fuhr ich über die Weihnachtstage mit meiner Liebsten zu ihrer Familie ins Ruhrgebiet. Als ich zurückkehrte, fand ich zu meinem Entzücken ein paar lobende Worte unseres Kollegen Rainer Damerius vor. Und am Schluss seiner Mail stand die Frage: „Ist es wohl irgendwem aufgefallen, dass die Jens-Kindheit zweimal lief?“
Es dauerte einen Augenblick, bis mir bewusst wurde, was das bedeutete. Die Sendung hatte die richtige Länge, meine Kindheitserinnerung war zweimal hintereinander gelaufen. – Was war dafür weggefallen? Richtig: Die Bescherung. Da hatten wir eine Sendung produziert, hatten 3 Stunden lang auf diese 18 Minuten hingearbeitet, und dann habe ich im entscheidenden Moment, weil ich wegen eines anderen Fehlers schon nervös war, nicht die Bescherung an den Schluss gehängt, sondern die gerade bereits verwendete Geschichte noch einmal.
Man könnte jetzt sagen: Nicht so schlimm. – Doch für mich als professionellen Radiomann ist es schlimm. Im WDR oder dem BR hätte ich dafür meinen Job verloren, zumindest hätte ich nie wieder eine Weihnachtssendung moderiert und höchstens noch bis ans Ende meiner Tage Bänder geschnitten. Es ist ärgerlich, weil es unnötig war.
Normalerweise verpacke ich Fehler in einen humorvollen Beitrag, und als ich anfing, diesen hier zu verfassen, war ich noch nicht ganz sicher, wie er sich anhören würde. Aber der Ärger über mich selbst ist immer noch da, sitzt immer noch zu tief. Ich habe unseren Hörern die Weihnachtsgeschichte, die Kirchenglocken, das „Stille Nacht“ und die Festwünsche unseres Teams vorenthalten und habe sie mit einer Geschichte gelangweilt, die sie gerade schon gehört hatten. Was für eine elende Schlamperei. Ich hoffe, dass mir das nie, nie wieder geschieht und gelobe in Zukunft mehr Sorgfalt!