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Neue Epoche beim Ohrfunk – Das Radio verändert sich

Am heutigen 30. September 2019 ist unser Vereinsvorsitzender und Chefredakteur, Eberhard Dietrich, von all seinen Ämtern zurückgetreten. Außerdem hat er seine Mitarbeit im Radioteam beendet. Unser Sender und unser Team haben Eberhard viel zu verdanken. Er hat stringent und mit unglaublich viel Einsatz den Ohrfunk aufgebaut und bis heute geführt. Wir verabschieden einen radiobegeisterten Macher und wünschen ihm alles Gute für seine künftigen Projekte. Der Ohrfunk wird seinen Namen als Sender auch künftig beibehalten. Er ist nicht zu verwechseln mit dem vermutlich in den nächsten Wochen entstehenden Ohrsicht Radio von Eberhard Dietrich, auch wenn der Name ähnlich klingt.

Zu Eberhard Dietrichs Nachfolger als Chefredakteur hat die Redaktion des Ohrfunks einstimmig Markus Bruch aus Siegen gewählt, der seit 2006 dem Ohrfunk angehört und schon seit fast 9 Jahren für die außerordentlich vielfältige Musikauswahl des Senders verantwortlich ist.

Seit 14 Jahren arbeitet unser Sender allein mit ehrenamtlichen Kräften. Wir halten ein Vollprogramm aufrecht, das im Internet und in einigen Städten und Landstrichen im Kabel verbreitet wird. Unsere Studios sind über die ganze Republik verteilt, und wir haben immer ein verlässliches, durchstrukturiertes Programm geliefert. Ohrfunk.de muss sich weder journalistisch, noch was die Zuverlässigkeit von Sendungen angeht, hinter anderen Internetradios verstecken. Ständig haben wir an unserer Qualität gefeilt und sie verbessert. Das Projekt begann mit einer Versammlung blinder und sehbehinderter Radiomacher*innen am 05.05.05 im Restaurant Scheune in Berlin und hat sich zu einem inklusiven und zum Teil sogar internationalen Projekt entwickelt. Unsere gesamte Arbeit wurde und wird von einem rund 20köpfigen ehrenamtlich arbeitenden Team geleistet. Neben der Information zu sozialen, politischen und behindertenspezifischen Themen sticht besonders unser Musikprogramm hervor. Mit einer allgemeinen Musikrotation von derzeit 12388 Titeln bieten wir ein deutlich breiter gefächertes Musikangebot als die meisten Sender im privaten, aber auch im öffentlich-rechtlichen Bereich.

Dies alles ist mit einer Mannschaft aus ehrenamtlichen Redakteur*innen nur schwer aufrecht zu erhalten. Immer wieder verließen Redakteur*innen den Sender, doch bislang war es unser Anspruch, dadurch keine Lücken entstehen zu lassen.

In diesem Sommer nun hat unsere Redaktion eine ausführliche Analyse unserer Situation vorgenommen und entschieden, dass die Hauptarbeit auf zu wenigen Schultern liegt, als dass sie mit der bisherigen Qualität ohne Veränderungen so fortgeführt werden kann. Daher haben wir eine Programmreform beschlossen, die am 7. Oktober beginnt. Leider wollte Eberhard Dietrich die Veränderungen nicht mittragen und legte daraufhin sein Amt nieder.

Die Veränderungen, die sich im Programm ergeben, betreffen z. B. die Öffnung für weitere Musikfarben wie Schlager, Klassik und ähnliches. Daher können wir weitere Redakteur*innen gewinnen, die für ohrfunk.de Sendungen produzieren. Außerdem müssen wir leider unser einst tägliches Magazin Zeitzone vorübergehend auf eine Sendung pro Woche beschränken, die künftig am Mittwoch ausgestrahlt wird. Dafür wird am Samstag um 16:05 Uhr eine neue, zweistündige Sendung unter dem Titel „Ohrlabor Wort“ zu hören sein. Seit Jahren ist das „Ohrlabor“ beim Ohrfunk der Platz für Experimente, und wir haben vor, auch im Wort-Bereich Experimente durchzuführen. Dazu gehören die Übernahme interessanter Podcasts, ausführliche Presseschauen, eine Computerecke und die sogenannte Redaktionskonferenz, in der Ohrfunkredakteur*innen und auch Gäste unaufgeregt, langsam, intensiv aber durchaus kontrovers über aktuelle Themen sprechen können. Dabei wollen wir den Hörer*innen auch längere Wortstrecken zumuten, weil wir nicht glauben, dass die allgemeine Aufmerksamkeitsspanne so niedrig ist, wie uns die professionellen Radioberater*innen glauben machen wollen.

Ohrfunk.de möchte sich von dem Anspruch verabschieden, genau so klingen zu wollen, wie Sender, mit denen wir uns ohnehin nicht messen können, da sie viel mehr Ressourcen, Geld und personelle und technische Ausstattung besitzen. Wir können uns nur behaupten, wenn wir etwas eigenes auf die Beine stellen, ein Radio, das seinen eigenen Charme und seine eigene Form hat. Wir wollen nicht in Konkurrenz treten, und wir wollen aufhören, uns und anderen beweisen zu wollen, dass wir ohne hauptamtlich Beschäftigte, ohne professionell eingerichtete Studios und ohne ein Budget, das seinen Namen verdient, mit öffentlich-rechtlichen Sendern in technischer oder redaktioneller Hinsicht mithalten können, ohne unsere Gesundheit und unseren journalistischen Ruf zu beschädigen.

Daher ist eine wichtige Veränderung beim Ohrfunk, dass wir auch über uns, unsere inneren Abläufe und unsere Arbeitsweise sprechen, auch mit Hörer*innen, auch im Radio, auch auf unserer Homepage. Das ist auch der Grund für diesen langen Beitrag. Er soll Ihnen vermitteln, was Sie künftig von uns erwarten können, was nicht mehr, und warum nicht.

Die zweite, sehr wichtige Veränderung ist, dass der Trägerverein, die Medieninitiative blinder und sehbehinderter Menschen in Deutschland e. V., künftig keinen redaktionellen Einfluss mehr auf das Radioprogramm von ohrfunk.de nehmen wird. Die Positionen des Vereinsvorsitzenden und des Chefredakteurs werden ab sofort getrennt, um das Radio zu demokratisieren. Beim Ohrfunk ist das höchste Gremium die Redaktion, die aus den für das Radio tätigen Vereinsmitgliedern und weiteren nicht stimmberechtigten Mitgliedern besteht. Diese Redaktion hat auf ihrer ersten Sitzung unseren langjährigen Kollegen markus Bruch zum Chefredakteur gewählt. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit einem sehr kollegialen und ausgleichenden Chef, der schon seit langem mit Klugheit und extrem hohem Einsatz ein Eckpfeiler unseres Teams ist. In den nächsten Wochen werden der Vorstand des Trägervereins und die Chefredaktion die Verhältnisse beim Ohrfunk neu ordnen, bevor dann schnellstmöglich auf einer Mitgliederversammlung der Umbau des Senders abgeschlossen wird.

Ohrfunk.de möchte auch in der Zukunft eine Stimme behinderter Menschen in der vielfältigen Radiolandschaft sein, aber auch nach wie vor ein Sender, der für alle interessant und hörbar ist. Trotz unseres geringen Budgets und unserer eingeschränkten technischen Möglichkeiten ist es auch in der Zukunft unser erklärtes Ziel, Ereignisse wie die Verleihung des deutschen Hörfilmpreises oder den öffentlichen Teil des
DBSV-Verbandstages live zu übertragen. Selbstverständlich benötigen wir zur Aufrechterhaltung unseres Sendebetriebes, für Streaming, Website, Gema- und GVL-Gebühren sowie die Kabeleinspeisung finanzielle Mittel. Die meisten dieser Mittel kommen von Mitgliedsbeiträgen unserer Vereinsmitglieder, aber auch von Spenden, mit denen unser Programm honoriert wird.

Ob wir künftig weiterhin im Kabel oder auf der berliner UKW-Frequenz zu hören sein werden, oder ob wir weiterhin im Rahmen der
Sendergemeinschaften 88vier in Berlin mitarbeiten werden, wird in den nächsten Monaten von der Redaktion in Zusammenarbeit mit dem Trägerverein entschieden. Es besteht immerhin die Möglichkeit, dass wir uns in einigen Punkten auch gesundschrumpfen müssen. Das ändert nichts an unserem Stolz auf die Leistungen, die wir in den vergangenen Jahren mit so viel Einsatz erbracht haben.

In den nächsten Tagen und Wochen werden Sie noch einige Veränderungen beim Ohrfunk bemerken. Unserer neuen Offenheit gemäß werden wir Sie auch an dieser Stelle rechtzeitig über Neuigkeiten informieren.

Jens Bertrams